Online Gottesdienst am 18. April durch Pfarrer Michael Grell

Hirtensonntag, Gedenktag der Verstorbenen der Pandemie, Gedenktag des Auftritts Luthers vor dem Kaiser in Worms 1521 „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ – Hören Sie hier unseren Gottesdienst zum Sonntag Misericordias Domini, die Barmherzigkeit des Herrn. 

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Der Herr ist mein getreuer Hirt, Wer nur den lieben Gott lässt walten – Organistin Hildegard Arbeiter-Stöhr 
Weil ich Jesus Schäflein bin – Organist Jonas Kaufmann (Orgel), Dekanatskantorin Sophia Lederer (Querflöte))
Ein Schafbild aus Obersachsen 2021
Pfarrer Michael Grell

Zum Eingang

Herzlich willkommen zu unserem Hörgottesdienst am Hirtensonntag. So nennt ihn der Volksmund, weil an diesem Sonntag die Hirtentexte der Bibel im Mittelpunkt stehen. Vom guten Hirten werden wir heute hören und miteinander in Gedanken und Worten beten: „Der Herr ist mein Hirte.“

Doch was erschließt sich uns heute in diesem uralten Bild vom Schafhirten und seiner Herde? In den alten Kulturen, in Israel, in Ägypten, im Zweistromland, gehörten die Hirten zum alltäglichen Leben. Als Hirte konnten aber auch der König selbst bezeichnet werden, oder die Priester, die sich ihrem Volk zuwendeten.

Von guten Hirten, auch von schlechten ist in biblischen Zeiten die Rede. Nicht selten wird an diese Rede heute nahtlos angeknüpft. Uns gilt der Pfarrer, der Bischof als Hirte, seltener der Politiker. Hirtenkritik ist landauf landab in aller Munde. Gute Hirten gelten als Vorbilder für den Glauben und die christliche Gemeinde. Wo die Hirten ihrer Aufgabe oder Verantwortung nicht nachkommen, laufen die Schäflein in Scharen davon, heißt es. Oder sie gehen in die Irre und fühlen sich im Stich gelassen.

Allein gelassen fühlen sich nicht nur die Intensivmediziner in diesen Wochen der dritten Welle. Viele andere mehr müssen vor Ort in ihrem Bereich Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen sie nicht absehen können. Ich gebe zu, auch ich würde mich gerne darum drücken. Könnten da nicht die Oberhirten mal einen klaren Weg vorgeben? Sind wir nun ganz auf uns allein gestellt?

In diesem Gottesdienst suchen wir Orientierung mit Hilfe dieses alten Bildes vom Hirten. Und Trost in den uralten Worten und in der Musik, die unser Herz und unsere Seele berühren.

Lasst uns den Psalm des Königs David beten – in Gedanken und wer mag mit eigenen Worten mitsprechen:

Psalm 23

EG 591 – Weil ich Jesu Schäflein bin

Lesung des Evangeliums – Joh 10

Glaubensbekenntnis

Wochenlied EG 274 – Der Herr ist mein getreuer Hirt

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

diese Hirtenkritik war gewichtig. Manchmal können Worte noch Jahrhunderte nachwirken. Worte, wie diese: Und solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helf mir. Amen.

Luthers Worte vom 18. April 1521, gesprochen, ja fast unhörbar leise gesagt, vor den versammelten Hirten des Heiligen Römischen Reiches in Worms, sind evangelisches Selbstverständnis bis heute. Sie sind auch Ausdruck von Selbstbewusstsein, manchmal natürlich eines übergebührlich übersteigerten.

Sie sind nicht zuletzt Kritik an den Hirten der damaligen Zeit, Kritik an einer römischen Kirche, die ihr Heil in Seelenmessen für im Fegefeuer verharrende Verstorbene sah, Kritik an einer Lehre, die dem einzelnen Gläubigen die Angst vor Gott einredete, und mit menschlichen Werken, oft auch finanziellen Mitteln, diese zu lindern versprach.

Dass Luther seiner eigenen Überzeugung folgte, die er beim Studium der Bibel und der mittelalterlichen Schriften gewann, und diese rhethorisch gewandt vor dem Kaiser bekannte, ja mit Gewissheit bestätigte und nicht widerrief, ließ bei den Versammelten einen Moment lang den Atem stocken. In dieser kurzen Unterbrechung geschah offenbar etwas, womit niemand gerechnet hatte. Weil da einer stand, der seinen Standpunkt unverrückbar vertrat, wurden alle herausgefordert auch ihren Standpunkt neu zu vermessen. Die Fürsten, die Vertreter der römischen Kirche, sogar der Kaiser. Für einen kurzen Moment wurde eine Tür aufgestoßen, die dann freilich schnell wieder zugestoßen werden sollte. Aber manchmal genügt eben auch ein kurzer Moment, um 500 Jahre danach noch die Erinnerung zu pflegen.

Musik

Und der Geist kam in mich und stellte mich auf meine Füße. Mit beiden Beinen im Leben verkündigt der Prophet Ezechiel das Wort des Herrn. Er war selbst ein Hirte, wie Luther einer war. Sein Wort, der heutige Predigttext geht an die Hirten des Volkes Israel:

So spricht Gott, der Herr:
Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden!
Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?

So spricht Gott, der Herr:
Siehe, ich will an die Hirten
und will meine Herde von ihren Händen fordern;
ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind,
und sie sollen nicht mehr sich selbst weiden.
Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen,
dass sie sie nicht mehr fressen sollen.

Denn so spricht Gott der Herr:
Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen
und sie suchen.
Wie ein Hirte seine Schafe sucht,
Wenn sie von seiner Herde verirrt sind,
so will ich meine Schafe suchen
und will sie eretten von allen Orten
wohin sie zerstreut waren zur Zeit,
als es trüb und finster war.
Ich will sie aus den Völkern herausführen
und aus den Ländern sammeln
und will sie in ihr Land bringen
und will sie weiden auf den Bergen Israels,
in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande.
Ich will sie auf die beste Weide führen,
und auf den hohen Bergen in Israel
sollen ihre Auen sein;
da werden sie auf guten Auen lagern
und fette Weide haben auf den Bergen Israels.
Ich selbst will meine Schafe weiden,
und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der Herr.
Ich will das Verlorene wieder suchen
und das Verirrte zurückbringen
und das Verwundete verbinden
und das Schwache stärken
und, was fett und stark ist, behüten;
ich will sie weiden, wie es recht ist.

Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meine Weide,
und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.

Musik

Die Kritik an den Hirten scheint zeitlos gültig zu sein; zumindest die Kritik an denen, die sich selbst weiden und den Blick für andere verloren haben. Selbstbewusst und mit beiden Beinen auf dem Boden stehend verkündet Ezechiel dieses Wort den religiösen und politischen Hirten seines Volkes, die mit ihm an den Fluß Kebar ins Exil nach Babylon deportiert worden waren. Sie hätten ihre Verantwortung nicht wahrgenommen und mehr auf sich selbst geschaut als auf andere.

Werden solche Hirten überhaupt noch gebraucht in Ezechiels Zukunftsvision? Sei scheinen wie hinweggewischt. Gott tritt ja an ihre Stelle.

Was macht Gott anders als die selbst ernannten Hirten? – Er sucht, was verloren ist. Er bringt zurück zur Herde die, die ihren eigenen Weg auch mal ein wenig störrisch gehen. Er verbindet die Wunden der Verletzten, die an Leib und Seele leiden. Er macht den Schwachen Mut, so dass sie sich einbringen können. Er setzt sich zu ihnen und nimmt sich Zeit für sie, so wie es der Prophet Ezechiel selbst tut, als ihn die Herrlichkeit des Herrn an den Fluß Kebar trägt. Aufeinander achten, hören und den anderen ernst nehmen ist der Anfang dieser Aufgabe des Hirtendienstes. Auch die Gefahren von außen hält er ferne.

Aber noch einmal: Wird dann überhaupt noch ein Hirte gebraucht, wenn Gott doch unser Hirte ist, wenn Chrisuts als guter Hirte für uns da ist?

In Fragen des Glaubens ist es wirklich so, dass wir alle einander zu guten Hirten werden können. Da, wo der Geist Gottes weht, stellt er uns – wie Ezechiel – auf unsere eigenen Füße. Wir können selbst für uns vor anderen sprechen. Auch wenn wir diesem inneren Ruf nicht immer voll vertrauen und uns zutrauen, davon anderen weiter zu sagen oder für sie da sein zu können, so können wir doch oft viel mehr für andere tun als wir uns selbst zutrauen.

Als Martin Luther am 17. April zum ersten Mal vor den Kaiser und die Fürsten trat, wusste er nicht recht, was er antworten sollte, so überrascht war er von der Forderung, er möge widerrufen, was er geschrieben hatte. Doch am Tag darauf gab der Geist ihm die rechten Worte und es entstand ein heilsamer Moment, nicht weil da einer ein kraftvolles Wort gesprochen hatte. Vielmehr, weil da einer – auch gelehrt und geschickt – aber vor allem bewusst persönlich gesprochen hatte. Dieses Bekenntnis vor den Hirten hat die Anderen in einem Moment der Unterbrechung herausgefordert, ihren persönlichen Glaubens-standpunkt selbst zu formulieren. Der Kaiser tat dies in seiner Antwort noch binnen Tagesfrist. Freilich kam er zu dem Schluss, dass dieser einzelne Mönch nur irren könne, wo doch über tausend Jahre Tradition und viele Gelehrte es anders wussten.

Aber die Tür stand einen Moment lang offen. Zeit genug, sich selbst auf sich und auf Gott zu besinnen ohne alles Schielen auf die Vorteile der Hirtenämter. Zeit bei sich selbst und bei Gott zu sein – oder bei Christus, dem Hirten, der die Seinen kennt und sie ihn. Ein Moment, in dem man erfährt: wir alle sind gehütet vom guten Hirten Christus.

Vielleicht ist das das Weltgeschichtliche an dem Moment gewesen, dass die Beteiligten es in dieser schwierigen Situation schafften, aufeinander zu hören, wenn auch nur für einen kurzen Moment einander stehen zu lassen, obwohl sie grundverschiedener Ansichten waren.

Musik

Wenn wir in geistlichen Dingen auf Gott, den guten Hirten hören, dann wissen wir wie der Prophet und der Reformator es in ihrem Moment wussten: Wir sind selbst gemeint. Es geht um uns. Wir können uns nicht aus dem Hirtenamt stehlen. Wir tragen alle dort Verantwortung, wo wir in der Welt hingestellt sind: für unsere Familien, für die Kinder in der Schule, für unseren Arbeitsbereich, für die Gemeinschaften, in denen wir uns einbringen. Jeder kann in seinem Gebiet ein Hirte für andere sein. Das ist nicht immer einfach. Der Hirtenjob war auch nie einfach. Er ist draußen in der Welt bei Wind und Wetter zu versehen, es lauern Tag und Nacht Gefahren, man muss wachsam und achtsam sein.

Wir erleben derzeit, wie Hirten sich aus ihrer Verantwortung stehlen. Gleichzeitig werden wir daran erinnert, dass wir als Hirten für unseren Bereich Dinge vor Ort entscheiden, weil wir es selbst können. Auch wenn wir uns das nicht immer zutrauen und uns nach einem Jahr Ausnahmezustand die Kräfte ausgehen: Wir können es.

Der weltgeschichtliche Moment von Luthers Auftritt vor dem Kaiser in Worms könnte uns daran erinnern, dass wir selbst in der Verantwortung stehen vor Gott und den Menschen als Hirten die uns anvertraute Herde recht zu weiden. Er könnte uns daran erinnern, dass wir angesichts großer Differenzen eine heilsame Unterbrechung im Hören aufeinander brauchen. Und ein Hören auf das, was Gott uns heute zu sagen hat.

Er ist der Hirte unserer Seelen. Er bleibt in Ewigkeit. Lasst uns immer wieder auf ihn sehen, wenn wir den Mut verlieren oder die Kräfte schwinden. Der Herr bleibt unser getreuer Hirt.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied EG 274,1+2 – Der Herr ist mein getreuer Hirt 

Gebet und Segen

Barmherziger Gott,
Du bist zu uns wie ein guter Hirte,
der seinen Schafen nachgeht und für sie sorgt,
gib, dass wir mit dir leben
bei dir bleiben
und unser Hören und Tun auf dich ausrichten.

Barmherziger Gott,
gib für den Hirtendienst an unserem Volk
und an deiner Kirche die rechten Worte,
Zeit zum Hören und zum Gespräch miteinander,
Geduld einander zu achten
und einander ernst zu nehmen,
auch dort, wo wir unterschiedlicher Meinung sind.

Barmherziger Gott,
gib, dass wir den Dienst an Sterbenden
bald wieder mit mehr Nähe ausüben können,
dass wir Menschen nicht allein gehen lassen müssen,
sondern sie sich beistehen dürfen,
wie sie es sich versprochen haben,
in guten wie in schweren Zeiten.

Barmherziger Gott,
wir gedenken heute besonders derer,
die im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie
verstorben sind,
lass dein ewiges Licht leuchten für sie
und für ihre Angehörigen und Freunde,
die zu oft sich einen tröstlicheren Abschied
mit einer Gemeinde gewünscht hätten.

Barmherziger Gott,
gib uns allen die Kraft,
die nächste Strecke des Weges zu gehen,
für andere als Hirten da zu sein,
wo sie uns brauchen.
Schenk uns deinen Geist,
die Verantwortung zu übernehmen,
die uns je und je neu aufgetragen ist.
Amen.

Vaterunser

Segen

Orgelnachspiel

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erstellt von:

Evang.-Luth. Kirchengemeinde Köditz

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